Ziprasidon

Es ist gut, dass ich diesen Blog führe. Gerade erst hatte ich krampfhaft überlegt, wie das Medikament heißt, das ich 2013 eine Zeitlang zusätzlich zum Risperidon einnahm und das mir damals so gut geholfen hatte. Ich konnte mich beim besten Willen nicht mehr erinnern, was ja eigentlich auch nicht verwunderlich ist. Denn immer versuche ich nach schlechten oder auch nicht so guten Zeiten so bald wie möglich das Augenmerk wieder auf das Positive zu legen und mich nicht länger als unbedingt nötig an das zu erinnern, was ich überwunden habe. Mein Krankheitsgedächtnis scheine ich beinahe völlig an diesen Blog übergeben zu haben. Immerhin konnte ich so nachschauen, welche Beiträge ich 2013 verfasst habe und fand ziemlich schnell heraus, dass mir 2 x 20 mg Zeldox am Tag geholfen hatten. Irgendwie beruhigte es mich, den Namen zu wissen und einigermaßen vorbereitet in das gestrige Gespräch mit meiner Psychologin gehen zu können, auch wenn ich genau wusste, dass sie das sowieso anhand meiner Unterlagen ganz schnell selbst herausfinden kann.

Das machte sie auch und das Gespräch mit ihr tat mir gut. In dieser geballten komprimierten und möglichst ungefilterten Form lasse ich mein psychisches Elend normalerweise nicht raus, abgesehen von dem, was durch meine Tastatur in diverse Dateien abfließt. Wir einigten uns auf morgens und abends 20 mg Zeldox, mit dessen Einnahme ich noch am gleichen Abend beginnen sollte. Dank Whatsapp bestellte ich gleich nach dem Termin in der Apotheke die Tabletten und konnte sie um 18 Uhr abholen. Jedoch erhielt ich eine grünliche Verpackung auf der der Name Zipsilan und als Wirkstoff Ziprasidon stand. Das stresste mich, weil das so fremd klang und ich nicht im geringsten wusste, ob ich auch wirklich die richtigen Tabletten bekommen hatte. Erleichterung brachte erst Dr. Google, der mir verriet, dass der Wirkstoff der richtige war (auf die Idee in der Apotheke gleich nachzufragen kam ich gar nicht). Abends nahm ich meine erste Tablette und erwartete noch nichts. Und doch war ich seltsam erleichtert und fühlte mich gut aufgehoben, fast schon ein wenig geborgen und warm umhüllt, wie in Watte gepackt, als ich später ins Bett ging und gleich einschlief.

Inzwischen habe ich meinen ersten Morgen mit dem zusätzlichen Medikament überstanden. Ein wenig müde bin ich, aber ich fühle mich nicht so verletzlich und schutzlos, wie in der letzten Zeit. Wirken die Tabletten wirklich so schnell bei mir oder ist es der Placebo-Effekt, der mir gerade unter die Arme greift? Vermutlich liegt die Wahrheit zwischen beidem…

Edit 21.05.2021: Es ist eine deutliche Verbesserung spürbar. Die gedanklichen Kapriolen sind verebbt und meine Kraft kehrt allmählich zurück, so dass seit gestern bereits leichte Aktivitäten wieder möglich sind. Mein inneres Lächeln ist zurück. Das tut einfach gut.

Hochsensibilität

Nein, keine Angst, ich versuche mir keine weitere Diagnose überzustülpen. Und doch stolpere ich immer mal wieder über das Thema „Hochsensibilität“, in dem ich mich zu Teilen seit meiner frühen Jugend wiederfinde. Dauermüde und dauererschöpft, sich überfordert von den Sinneseindrücken um einen herum fühlen und überrollt durch die einen umgebenden Energien, Linderung einzig im Rückzug findend. Und sich dabei als nicht richtig dabei empfinden – natürlich nicht, wenn man sich selbst ständig mit anderen vergleicht oder mit diesen verglichen wird.

Etwas genauer geht Laura Malina Seiler in ihrer Podcastfolge auf das Thema „Hochsensibilität“ ein. Irgendwann im vergangenen Jahr habe ich begonnen den Podcast „happy, holy & confident“ zu hören, weil ich inspirierend finde, was Laura Malina Seiler mitzuteilen hat. Ich höre manchmal jeden Tag eine Folge, manchmal aber auch nur eine in der Woche. Es ist der positive Input, den ich mir auf diese Weise hole und der dafür sorgt, dass ich mir so manche wichtige Denkweise zurück ins Gedächtnis rufe. Wertvolle Inseln der Selbstfürsorge, manchmal aber auch einfach nur interessante Infos und Interviews mit Menschen, denen ich zuhören mag:

https://open.spotify.com/episode/4Dx8S1Fxmnbng4nJq0oun0?si=z4PgNhmKS8uraoZawxrsZA

Ich will mich nicht als hochsensibel bezeichnen, aber als empfindlich, empfindsam und zeitweise auch hyperempfindlich. Also im Prinzip doch ganz ähnlich dem, was Laura schildert und doch potenziert durch einen mehr als überaktiven Geist, der nicht nur von den Sinneseindrücken überrollt wird und versucht sich zu zerstören, wenn man ihn sich selbst überlässt, sondern dessen Filter auch von verändertem Denken außer Kraft gesetzt wird.

Beängstigend, wenn man plötzlich allen Menschen gleichzeitig zuzuhören scheint und sich nicht auf den Menschen fokussieren kann, der sich gerade mit einem unterhält. Und man an dem zweifelt, was man hört, weil es die Gedanken anderer Menschen zu sein scheinen. Wenn man die Stimmungen und Energien der Menschen um sich herum wie ein Schwamm aufzusaugen und zu verinnerlichen scheint, ohne es auch nur ansatzweise ertragen zu können. Eigenartig Dinge zu riechen, die niemand anders sonst wahrnimmt, obwohl sie doch so real scheinen. Und – die Krönung von alledem – Dinge zu sehen, die es definitiv nicht gibt.

Hilfreich, dass es gegen manche Wahrnehmungen und Verirrungen des Denkens Tabletten gibt. Hilfreich ist es aber auch, wenn man sich außerdem bewusst gemacht hat, dass die eigene Empfindlichkeit auch in engem Zusammenhang mit der eigenen Befindlichkeit steht und sich diese mit der nötigen Selbstfürsorge verbessern lässt.

Von der Seele geschrieben

Angefangen hat alles genaugenommen damit, dass mir meine Tochter „Mögest du glücklich sein“ von Laura Malina Seiler empfahl (meine Rezension dazu findet ihr hier). Im Anschluss daran hörte ich mir den Podcast der Autorin an und setzte mich intensiv mit dem Gehörten und den Aufgabenstellungen auseinander. Das hat in manchen Punkten für mehr Klarheit gesorgt und mir einige Erkenntnisse über mich und mein Leben beschert.

Aber es hat mir auch aufgezeigt, was in meinem Leben dafür sorgt, dass es farbig und möglichst weit weg von depressiven Symptomen ist. Und was sich gut anfühlt und was so wichtig für mich ist, dass ich es in meiner Tages-, Wochen- oder vielleicht auch nur Monats- oder Jahresstruktur haben möchte. Gleichzeitig habe ich einige Wünsche und Ideen entwickelt, von denen ich bei näherer Betrachtung gemerkt habe, dass sie auch trotz Erwerbsminderungsrente dank Schizoaffektiver Störung und nicht regelmäßig abrufbarer Leistungsfähigkeit machbar sind.

Und ganz allmählich tauchte bei mir auch ein Traum aus der Versenkung auf, den viele Bücherwürmer träumen: Den Traum von einem eigenen Buch. Zwar wurden bereits in zwei Büchern kurze Texte von mir veröffentlicht (hier und hier), aber so ein komplettes selbst verfasstes Buch, auf dem der eigene Name steht, ist nochmal eine Steigerung. Für mich passte der Zeitpunkt plötzlich. Ich hatte genug Kraft und Energie an einem Webinar teilzunehmen, in dem ich eine grundsätzliche Art erlernte, wie man Struktur in eine Geschichte bringt (plotten). Zu Papier bringen wollte ich die Eigenartigkeiten, die ich in der Zeit erlebt habe, als die Krankheit in großen Teilen die Kontrolle über mich übernommen hatte und mich im Rahmen einer Psychose die Welt auf eine ganz eigene Art erleben ließ.

Zeitlich passte es daher ganz gut, dass ich mit dem Plotten pünktlich zum Ende des Oktobers fertig wurde und im November zum ersten Mal beim NaNoWriMo mitmachte – einem Internetspektakel, bei dem Schreibwütige aus der ganzen Welt einen Text mit 50.000 Wörtern herunterschreiben, aus dem sie später einen Roman machen. Bereits nach 21 Tagen hatte ich dank der vorher ausgearbeiteten Struktur meinen Text beendet. (Genaueres erfahrt ihr hier). Das Wortziel habe ich dabei nicht erreicht, aber ich habe mich zum ersten Mal ganz intensiv und detailliert mit dem auseinander gesetzt, was mir damals passiert ist. Das Schreiben selbst hatte dabei die Kontrolle übernommen und dafür gesorgt, dass der Text die meiste Zeit einfach aus mir herausfloss, als habe er lange darauf gewartet, endlich nach draußen zu kommen. Das hatte schon etwas von therapeutischem Schreiben.

In der Therapie war mir das Thema immer höchst unangenehm und peinlich gewesen. Ich habe über das Nötigste gesprochen, damit die Fachleute wussten, woran sie bei mir waren und mir gezielt helfen konnten. Das war wichtig und hilfreich. Aber eigentlich habe ich das Thema Psychose immer nur grob umrissen, punktgenau meine Erlebnisse und Eindrücke geschildert, um möglichst schnell zu anderen Dingen zu kommen und diesen Teil meines Lebens wieder ruhen zu lassen.

Jetzt stellte ich mich aber den Dingen und schilderte die Einzelheiten in dem Text. Dabei verwendete ich nicht die Ich-Perspektive, sondern rückte von allem noch ein wenig ab indem ich meine Erfahrungen aus der dritten Person betrachtete. Ich erlebte noch einmal, was „ihr“ passierte, was „sie“ dachte, was „sie“ fühlte. Und ich hatte den Abstand zu sehen, wie „er“ oder andere sie wahrnahmen und was das mit ihnen machte. In dieser Deutlichkeit hatte ich manches bisher noch nicht betrachtet. Das war jetzt im nachhinein nochmal sehr schmerzhaft, manchmal lächerlich und unglaubwürdig und doch auch voller Ehrlichkeit in einer als Realität empfundenen Scheinwelt.

Zugegebenermaßen hat mich die Geschichte ausgebrannt und sehr viel Kraft gekostet, aber es geht damit auch eine gewisse Erleichterung einher. Diese Geschichte hat meinen Kopf verlassen und ist in der Form, wie ich sie zum jetzigen Zeitpunkt, also knapp 16 Jahre nachdem alles seinen Anfang nahm, noch erinnere, in Worte gebannt. Es fühlt sich für mich so an, als sei dies ein wichtiger Zwischenschritt. Denn nun bin ich frei genug, diese Geschichte und auch meinen Blick auf sie zu verändern. Ich kann in meiner Vergangenheit zurückblicken und sehen, wohin mich das Erlebte gebracht hat. Aber ich kann auch interpretieren und Schlüsse ziehen, erkennen was wichtig und richtig war, trotz psychischer Wirrungen.

Jetzt ist erstmal die Zeit gekommen, diese Geschichte liegen zu lassen, damit sie sich setzen kann. Und dann schaue ich mal, ob ich die künstlerische Freiheit besitze mich von der Originalgeschichte zu lösen und daraus einen überaus mysteriösen Mystery-Roman zu formen oder vielleicht doch etwas ganz Anderes 🙂

Maarten Hemmen über Depressionen

Depressionen überwinden steht da und in mir kommt gleich der Gedanke hoch, dass das bestimmt schön wäre.

Manchmal muss man aber auch ’nur‘ lernen damit zu leben, dass einem „der schwarze Hund“ immer im Nacken zu lauern und nur darauf zu warten scheint, wieder mehr Macht über einen zu bekommen. Doch nach vielen Jahren des Lernens und des Umgangs damit, kann es andersherum auch passieren, dass man ‚den schwarzen Hund‘ als einen Weggefährten erkennen kann, der dem Leben einen neuen Weg in mehr Selbstfürsorge und Liebe aufgezeigt, ja sogar aufgezwungen, hat. Wenn es nicht so unglaublich gefährlich für Leib und Leben gewesen wäre, könnte ich für diese Erfahrung fast dankbar sein.

Ein guter Winter

Soeben bin ich auf etwas gestoßen, das mir gleich gut gefallen hat und ich euch natürlich nicht vorenthalten möchte. Es geht um ein kostenloses Buch, das dabei helfen soll, den Corona-Winter 2020/2021 besser zu überstehen: Ein guter Winter.

Der Corona-Winter 2020/2021 kann richtig hart werden. Zu sozialer Isolation und Existenzangst kommt noch Kälte und Dunkelheit. Deswegen wurden die sinnvollsten Techniken aus „Ein guter Plan“ und „Ein guter Tag“ für den Alltag in der Pandemie aufbereitet.

Damit kann man 100 Tage lang ein Krisentagebuch (DIN A4 zum Selbstausdrucken) führen und seine Selbstfürsorge in Schwung bringen. Natürlich kann diese Art des Tagebuchschreibens, des Etablierens guter Gewohnheiten, des Tagesablauf Planens, des soziale Kontakte Pflegens und des Dankbarkeit Artikulierens nicht garantieren, dass der Winter gut wird. Aber vielleicht kann es verhindern, dass man den schlechtesten Winter seines Lebens hat.

Hier kannst du das Buch kostenlos als PDF herunterladen: Ein guter Winter.

Komm‘ gut durch den Winter ❤️

Psychotherpeut finden

Oft schon habe ich gehört, dass es nicht einfach ist, einen Psychotherapeuten zu finden. Gerade bin ich auf einen Tipp aufmerksam geworden, den ich auf dem YouTube-Kanal PsychCast gefunden habe und von dem ich denke, dass er für den ein oder anderen hilfreich sein könnte:

Ich selbst hatte seinerzeit diesbezüglich großes Glück im Unglück. Nach der stationären Behandlung (vor inzwischen 11 Jahren) wurde ich an die angeschlossene Institutsambulanz weitergeleitet und fand dort zu meiner Psychologin und zur Psychotherapeutin, wo ich mich bis heute gut aufgehoben fühle. Für mich war damals die Schwellenangst zu groß. Ich war voller Vorurteile und Ängste gegenüber der Psychiatrie, die es mir unmöglich machten rechtzeitig Hilfe zu suchen. Ich war erst nach einem missglückten Suizidversuch verzweifelt genug, mich gegenüber meinem Hausarzt zu öffnen und der stationären Einweisung zuzustimmen. Ein wichtiger und wertvoller erster Schritt, der mir zurück ins Leben geholfen hat. Besser gefallen hätte es mir jedoch, wenn es nicht erst zum Äußersten bei mir gekommen wäre und ich mir früher Hilfe gesucht und gefunden hätte.  Das wäre sicherlich auch für meine Angehörigen angenehmer gewesen.

 

Subjektivistisch gelesen

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Wenn ich ein Buch beendet habe, sammle ich noch kurz meine Gedanken dazu, damit ich später auf umgeBUCHt meine ganz persönliche Meinung wiedergeben kann. Dann stöbere ich aber auch schon im Netz nach anderen Rezensionen. Immer gespannt darauf, wie andere das Buch gelesen und empfunden haben, denn es ist immer wieder interessant, wie unterschiedlich die Bewertungen zu einem Buch ausfallen können. Je nach Kenntnisstand und persönlichen Erfahrungen werden Bücher völlig anders gelesen und bewertet, unabhängig von dem, was der Autor ursprünglich mitteilen wollte.

Gerade erst habe ich ein Buch beendet, bei dem ich vieles aufgrund meiner Erkrankung und den daraus resultierenden Erfahrungen oder Erfahrungen, die ich mit anderen psychisch Kranken machte, einschätzte, erkannte und lesend nochmal durchlebte. Ich las von Problemen, die entstehen können, wenn krankes Denken überhand nimmt und den Kranken in der normalen Arbeitswelt untragbar macht. Aber ich las auch von Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten, die ein Kranker haben kann, wenn man ihm sein „Anders sein“ zugestehen könnte, solange es niemandem schadet. Ich las von nachvollziehbarem Unverständnis der „gesunden“ Arbeitskollegen und teilweise nicht nachvollziehbaren, künstlerisch überzeichneten Reaktionen. Ich las von Flucht vor der Realität und ich las tatsächlich auch über kurioses aus der Arbeitswelt. Letzteres hatte für mich jedoch einen eher kleinen Anteil in dem Buch, vermutlich weil sich für mich eine andere Aussagekraft ergab, als für andere „gesunde“ Leser, die in dem Roman, wie vom Klappentext vorgegeben, eher eine Beschäftigung mit der Konformität in der modernen Arbeitswelt sehen.

Es dockt halt jeder mit seinen Erfahrungen und Lesevorlieben dort an, wo er Anknüpfpunkte entdeckt oder vielleicht auch einfach eine Befriedigung seiner Lesevorlieben sucht und findet. Es gibt also kein Richtig oder Falsch, wenn man die Freiheit des Lesens fernab von jeglichem schulischem Deutungsstress genießt. Es ist nicht so, dass ich das nicht längst wüsste, aber so deutlich wie bei diesem Buch, war mir das bislang nicht bewusst: Das Zimmer von Jonas Karlsson.

 

Krank ist nicht gleich kriminell

Es ist immer das Gleiche: Erst werde ich wütend, dann macht es mich traurig und dann raubt es mir die Kraft, weil ich es zu nah an mich herankommen lasse, anstatt einfach mein Leben so weiter zu leben und zu ignorieren, wie Medien und Politik mit psychisch Kranken umgehen und welche Botschaften sie dadurch an die ‚gesunde‘ Bevölkerung senden. So heißt es:

„Depressive Menschen sollen künftig nach Regeln, die bisher nur für Straftäter galten, in Krankenhäusern festgesetzt werden können – ohne dass (wie bei Gustl Mollath) eine Straftat vorliegt.“ (Quelle: http://www.sueddeutsche.de/)

Wenn dadurch tatsächlich vermieden würde, dass Menschen, die an dieser Erkrankung leiden und sich zu kriminellen Handlungen entscheiden, indem sie als Pilot ein vollbesetztes Passierflugzeug gegen einen Berg fliegen oder ihr Kraftfahrzeug in die Menschenmenge steuern und sich im Anschluss umbringen, würde ich es vielleicht sogar unterstützen. Aber diese grobe Vereinfachung und Pauschalisierung, die mit einem Rundumschlag alle Depressiven zu Straftätern macht, hilft hier nicht weiter, sondern gleicht eher blindem Aktionismus. Depressionen sind plötzlich nicht mehr die von den Medien stilisierte Volkskrankheit, deren Ableger ‚Burnout‘ auch die fleißigen Erfolgreichen treffen kann. Will man tatsächlich auch Menschen, wie beispielsweise Robert Enke oder Joanne K. Rowling, die offen mit ihrer Erkrankung umgehen, bzw. umgingen, mit kriminellen mordenden Subjekten vergleichen?

Da es sich um ein schwerwiegendes gesellschaftliches Problem handelt, sucht die Kriminologie bereits seit Jahrzehnten nach einer gemeinhin akzeptierten Erklärung der Ursachen von Kriminalität, die in allen Altersgruppen, allen Sozialsystemen, allen politischen Systemen und an allen Orten zu finden ist. Sowohl individuelle als auch Faktoren der Umgebung werden herangezogen. Wirklich durchsetzen konnte sich bisher keine der vielen Theorien.

Doch nun scheinen Politik und Presse die Lösung gefunden zu haben: Die Kriminellen sind psychisch krank. Das heißt aber auch: Wer psychisch krank ist, ist ein potentieller Krimineller. Und somit bin auch ich kriminell und gefährlich, auch wenn ich tatsächlich nur für mich selbst eine Gefahr darstelle und mir selbst in schlimmsten Krisenzeiten niemals auch nur der Gedanke aufkam, einem anderen Lebewesen außer mir, das Leben zu nehmen. Gleiches behaupte ich von den vielen Menschen, denen ich während meiner Zeit in psychiatrischen Einrichtungen begegnet bin, die zwar mitunter nervig sein konnten, die aber manchmal kaum die Kraft zum atmen hatten und bei denen ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, dass das potentielle Mörder sein sollen.

Nicht auszudenken, was dieses Gesetz noch mit sich brächte, träte es in Kraft. Welcher Depressive suchte sich wohl noch Hilfe, aus Sorge polizeilich auffällig zu werden. Für mich war die Hürde endlich Hilfe zu suchen und anzunehmen auch ohne diese Auflage schon immens hoch. Und zöge diese Auffälligkeit vielleicht auch einen Eintrag ins polizeiliche Führungszeugnis mit sich? Das hätte in meinem Fall sogar als Nebenwirkung bedeutet, das mich das den früheren Arbeitsplatz gekostet hätte.

Vielleicht sollte man sich lieber wieder darauf konzentrieren herauszufinden, was Menschen dazu bringt, das Leben anderer Menschen so wenig zu achten, dass sie es ihnen nehmen wollen. Das schließt natürlich auch die psychisch kranken Kriminellen ein, die selbst in psychiatrischen Einrichtungen ihren eigenen Bereich bekommen und nicht mit den anderen psychisch Kranken in einen Topf geworfen werden.